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Richtlinien für die Prävention

Ein neuer Weg CHEERS zu sagen: In welchen Fällen sollte der Cube zum Einsatz kommen?

In den vergangenen Jahren wurden wir förmlich überhäuft mit Analysen mit Hinblick auf die Ideen der TäterInnen und die Profile von Einzelpersonen und Gruppierungen. Tausende Seiten wurden Moslems, Christen, ExtremistInnen, Radikalen, ImmigrantInnen, „straffälligen Typen“ und ähnlichen Themen gewidmet. Ganze Gemeinschaften und Sozialgruppen wurden durch Nachrichtenagenturen und Polizeikräfte bis ins Detail überprüft, mit dem Ergebnis, dass große Teile der Bevölkerung ihr Vertrauen in die staatlichen und überstaatlichen Institutionen verloren haben und zu verschiedensten Ausprägungen der Eskalation und Proteste motiviert wurden. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die größte Aktivität von Sozialen Medien eigentlich Profiling ist, und ihre Verwendung ist im Prinzip Massenüberwachung. In diesem Mix haben die Medien und PolitikerInnen Karrieren aufgebaut, Ressourcen gesammelt, und an Macht gewonnen.

Daher wollen wir vorab untermauern, dass das „Cube-Modell“ lediglich reale Probleme analysiert. Es handelt sich dabei um ein neutrales Sicherheitswerkzeug. Die Fälle, die durch den „Cube“ analysiert werden sollen, sind gemäß dem durch das mittels dem Akronym ‚CHEERS‘ definierten Schema vergleichbar und wiederkehrend. Dieses Schema berücksichtigt sechs Elemente zur Definition eines Problems als Teil der „Cube“-Aufgaben: Community (Gemeinschaft); Harm (Schaden); Expectation (Erwartung); Events (Vorkommnisse); Recurring (Wiederholung) und Similarity (Ähnlichkeit).

  • Community sind die Probleme, welche die „Öffentlichkeit“ erfährt, es handelt sich sozusagen um eine Schichtung verschiedener Untergruppen (oder Sub-Gruppierungen), die sich aus Einzelpersonen zusammensetzen, Mehrheiten und Minderheiten, Unternehmen, Behörden, Parteien und anderen Gruppen.
  • Um als Teil einer Cube-Aufgabe zu gelten, muss ein Vorkommnis Mitglieder der Öffentlichkeit betreffen, der gesamten Gemeinschaft oder einem Teil davon Schaden zufügen. Schwere Straftaten sind für uns Teil der Rechtsverletzungen, und die Gesetzmäßigkeit, mit eingeschlossen die rechtlichen Präventivmaßnahmen, ist ein definierendes Merkmal von Problemen, ganz anders als aktuelle Methoden der situativen Verbrechensprävention (SCP; Situative Crime Prevention; Clarke und Eck, 2003).
  • Expectations drehen sich darum, was die Gemeinschaft (oder ein großer Teil ihrer Mitglieder) vom Sicherheitssystem an Reaktionen und Maßnahmen gegen den Ursprung für den Schaden erwarten.
  • Events meint eine Kette an Sicherheitszwischenfällen, die gemäß der Definition der Palermo-Konvention sowie der Richtlinie (EU) 2017/541 als „schwere Straftaten“ klassifiziert wurden.
  • Recurring impliziert, dass sich ähnliche Zwischenfälle in ähnlichen Umgebungen wiederholen müssen. Sie könnten Symptome eines akuten oder chronischen Problems darstellen. Ob nun akut oder chronisch, wenn nichts dagegen unternommen wird, dann werden diese Vorkommnisse weiterhin auftreten, und aus diesem Grund ist die Prävention ein Schlüssel. Wenn keine Wiederholung zu erwarten ist, dann ist eine Problemlösung möglicherweise gar nicht notwendig.
  • Similarity bedeutet, dass die Vorkommnisse ähnlich sind oder in einem Zusammenhang zueinander stehen. Sie könnten alle von derselben Person begangen werden, zufällig demselben Opfertyp, an ähnlichen Orten vorgefallen sein, unter ähnlichen Umständen, dieselbe Art von Waffen umfassen oder einen respektive mehrere andere Faktoren teilen. Ohne gemeinsame Merkmale handelt es sich um eine willkürliche Ansammlung an Vorkommnissen anstatt um ein Cube-Problem. Mit gemeinsamen Merkmalen liegt ein Muster an Vorkommnissen vor. Muster für Verbrechen oder Ordnungsprobleme sind häufig Symptome von Problemen.

Beweggründe als Teil der rationalen Theorie

Zusätzlich zum traditionellen CHEERS-Modell in der situativen Verbrechensprävention (SCP; Situative Crime Prevention) müssen wir auch neue analytische Faktoren einführen, wenn wir die Merkmale der neuen Formen von „schweren Straftaten“ erfassen möchten, speziell im Bereich der Prävention „im Vorfeld einer Straftat“.

Damit holen wir auch das Thema der Beweggründe in die „Cube“-Variablen, und damit werden gewisse Taten eher zu situativen Beiträgen als zu Profiling. Gepaart mit „Bereitschaft“ ergeben sich zwei substantiell neue Komponenten, die den Cube so dynamisch machen.

Die Voraussetzung für Terrorismus wird in der jüngsten Richtlinie (EU) 2017/541 definiert:

nämlich die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Auch die Drohung, solche vorsätzlichen Handlungen zu begehen, sollte als terroristische Straftat gelten, wenn sich objektiv feststellen lässt, dass diese Drohung mit einer derartigen terroristischen Zielrichtung erfolgte. Hingegen gelten Handlungen, mit denen öffentliche Stellen beispielsweise zu einem Tun oder Unterlassen gezwungen werden sollen, die aber nicht in der erschöpfenden Auflistung schwerer Straftaten aufgeführt sind, nicht als terroristische Straftaten im Sinne dieser Richtlinie.[1]

Für schwere Straftaten und organisierte Kriminalität legte die Palermo-Konvention drei grundlegende Kriterien fest, um ein breites Spektrum an Straftaten zu definieren. Hier liegt die Möglichkeit materielle Vorteile zu erzielen im Zentrum des Interesses:

a) Eine „organisierte kriminelle Gruppe“ eine strukturierte Gruppe von drei oder mehr Personen, die eine gewisse Zeit lang besteht und gemeinsam mit dem Ziel vorgeht, eine oder mehrere schwere Straftaten oder in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen umschriebene Straftaten zu begehen, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen;

b) „Schwere Straftaten“ meint ein Verhalten, das eine strafbare Handlung darstellt, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren im Höchstmaß oder einer schwereren Strafe bedroht ist;

c) „Strukturierte Gruppe“ meint eine Gruppe, die nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer Straftat gebildet wird und die nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für ihre Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.[2]

Die erklärten Ziele sind also Elemente größter Unterschiede zwischen den beiden Phänomenen, häufig auch über die grundlegende Phänomenologie oder Logistik hinaus, welche in gewissen zeitlichen Phasen und geografischen Zonen einander ergänzen können.

Es besteht jedoch ein wahrer Unterschied zwischen Zielen und Beweggründen. Einerseits kann ein terroristisches Verbrechen in seiner Ausführung in Formen organisierter Kriminalität integriert werden, gemäß seiner Absichten. Es kann jedoch unterschiedliche Bedeutungen übernehmen (und in der Konsequenz an gegensätzliche Schadensbegrenzungsstrategien appellieren). Schließlich können beide gemeinsame primäre Beweggründe haben, über die erklärten Ziele hinaus. In beiden Fällen, sowohl im politischen Terrorismus als auch in Mafia-ähnlicher organisierter Kriminalität gibt es möglicherweise gemeinsame Beweggründe wie die Kontrolle materieller oder immaterieller Ressourcen, Elemente territorialer Macht oder die Kontrolle politischer Systeme, jedoch mit unterschiedlicher oder womöglich gar gegensätzlichen Absichten, sei es strategischer oder taktischer Natur.

In vielen auch jüngsten Fällen haben terroristische Vereinigungen versucht, die logistischen Kanäle der organisierten Kriminalität dafür zu nutzen, Waffen oder Ressourcen unterschiedlicher Art zu beziehen. In den extremsten Fällen, wie zum Beispiel den Terrorfällen in Italien zwischen den 1970er- und den 1980er-Jahren, kam es sogar zu gemeinsamen Handlungen, wie die „Banda della Magliana“ sowie NAR-Gruppen, die gemeinsame Waffenarsenale teilten. In jedem Fall und vor dem Hintergrund der Unterschiede der Ziele zwischen den unterschiedlichen kriminellen Phänomenen gelang es der Polizei, die terroristischen Vereinigungen zu besiegen, indem die Schwachstellen dieser Kriminellen ausgenutzt wurden. Der Druck polizeilicher Handlungen kann tatsächlich einen Konflikt zwischen den Zielen der organisierten Kriminalität und des Terrorismus veranlassen. Die Fähigkeit auf die verschiedenen finalen Beweggründe gewisser AkteurInnen in der kriminellen Szene zu reagieren ist einer der Hauptgründe dafür, warum die Beweggrundanalyse als Instrument für die Prävention gesehen werden muss.

Daher wurden die Beweggründe im letzten Jahrzehnt rasch und über die Probleme des Profiling hinaus ein wichtiges Element für die situative Verbrechensprävention (SCP; Situative Crime Prevention).

Provokationen reduzieren

Stress und Frustration reduzieren

  • Effiziente Schlangen und freundliche Services.
  • Erweiterte Sitzkapazität.
  • Beruhigende Musik und gedämpftes Licht.

Streitigkeiten vermeiden

  • Unterschiedliche Bereiche für rivalisierende Fußballfans
  • Weniger Gedränge in Pubs
  • Fixe Taxipreise

Erregung und Versuchung minimieren

  • Kontrolle über gewalttätige Pornografie
  • Verbote, dass Pädophile mit Kindern arbeiten
  • Beratung darüber, wie sexuelle Diskriminierung vermieden werden kann

Druck seitens der Peergruppe neutralisieren

  • „Nur Idioten fahren betrunken“
  • „Es ist okay, Nein zu sagen“
  • Störenfriede an Schulen zerstreuen

Imitation entgegenwirken

  • Vandalismus rasch reparieren
  • V-Chips (Gewalt-Chips) für Fernseher

NachahmerInnen vermeiden, indem Details zum Modus Operandi verschwiegen werden

 

Als Richard Wortley Gefängnisse und Pubs erforschte, stellte er fest, dass Gedränge, Unbehagen und unhöfliche Behandlung in beiden Settings Gewalt hervorrief.

Dies führte ihn dazu zu argumentieren, dass sich situative Prävention zu eingeschränkt auf Möglichkeiten für Verbrechen fokussierte, und Merkmale der Situation vernachlässigte, die ein Verbrechen auslösen oder hervorbringen.

Als Ergebnis seiner Arbeit haben Clarke und Cornish in ihre neue Klassifizierung situativer Techniken fünf Techniken hinzugefügt um zu reduzieren, was sie „Provokationen“ nennen.[3] Diese Faktoren spielen für die Prävention eine große Rolle.

Die Einführung „ideologischer“ Themen in das traditionelle, situative Präventionsmodell hat jedoch für etwas Verwirrung gesorgt, speziell wenn Narrative (Ideen, Religionen, politische Positionen) mit „Beweggründen“ verwechselt wurden, die der rationalen Theorie unterliegen. Mit dieser Verwirrung haben situative Präventionsmodelle die Fehler der sozio-psychologischen Prävention wiederholt, die sich regelmäßig in der Prävention terroristischer Straftaten entwickelt, welche die letzte Version der Überwachungssysteme darstellt. Diese Narrative sind in Wahrheit – zusätzlich dazu, dass sie austauschbar sind – sehr bekannt bei Kriminellen sowie bei einfachen GegnerInnen oder unschuldigen BürgerInnen mit weißen Westen. In der Arbeit des Profilings und im Fokus auf die TäterInnen besteht also das Risiko, gegen einige Grundrechte zu verstoßen, zusätzlich dazu, dass die Dynamiken der kriminellen Phänomene nicht erfasst werden, welche viel mehr in der Umgebung als in den TäterInnen selbst wurzeln.

Wie wir weiter oben sehen, liegen die größten Kritiken gegen die Britische Strategie der „Prävention“ genau hier: psychologische Modelle als Teil der Massenüberwachung verwendet zu haben, die in Gefängnissen zur Untersuchung Krimineller getestet worden waren, die dann aber in Massenüberwachungsprogrammen eingesetzt wurden, um eine „Bevölkerungsveränderung“ zu verfolgen und dann zu erwarten, „Hochriskante TäterInnen“ auf der Basis von Ideen, Glaubenssystemen und Meinungen überprüfen zu können. Diese Maßnahmen haben vielmehr zu einem Anstieg der kriminellen Phänomene geführt als zu deren Reduktion, denn sie haben in den „verdächtigen“ Gemeinschaften in einem größeren Rahmen eine Art der „Trotzreaktionen“ losgetreten.

Die jüngste situative Terrorismusprävention scheint in das Versagen früherer soziologischer und psychologischer Präventionsmodelle gefallen zu sein, als es für die Analyse unterlassender und gewaltfreier Krimineller die „kognitive Voraussetzungen“ unter die „verbrechensbegünstigenden Faktoren“ aufnahm und das Problem der „Neutralisierung“ von Oppositionsideen und -Gefühlen aufwarf (Belli & Freilich, 2009, Seiten 188-189 über Steuergegner). Im Zuge der Evolution hin zu STP übernahm man im Grunde „Förderband“-Theorien mit einem starken ideologischen Inhalt, der eher zu einem kriminogenen Faktor wird, als zu einem präventiven oder schützenden.

Diese gegenwärtigen Präventivtheorien sind in Wahrheit keine große Hilfe im Umgang mit Verbrechen in der realen Welt. Denn sie tendieren dazu, Gründe in entfernten Faktoren zu finden, die mit dem Profil der TäterInnen zusammenhängen, wie zum Beispiel Erziehungspraktiken aus ihrer Kindheit, genetische Konstitution, Ideologien, Glaube sowie psychologische oder soziale Prozesse. Diese stehen meistens für die tagtägliche Praxis nicht in Reichweite, benötigen riskante ideologische Konstruktionen über „Risikoindikatoren“ die mit der einzelnen Persönlichkeit oder jener der Gruppe in Verbindung stehen und setzen Polizeiaktivitäten dem Risiko aus, Grundrechte und internationale Konventionen zu verletzen. Abschließend zu erzwingen, dass neutrale Institutionen Propagandistinnen temporärer Regierungen werden.

Aus diesem speziellen Grund, der grundlegende technische und rechtliche Konsequenzen mit sich bringt, hält der „Cube“ die Standard-Präventiv-Struktur des klassischen Prozesses aus der situativen Verbrechensprävention (SCP; Situative Crime Prevention) aufrecht, und lehnt die SPT-Erweiterung ab. Die Beweggründe und in der Konsequenz die „sanften Präventivtechniken“ werden innerhalb eines andersartigen, neuen, innovativen und dynamischen Modell weiterentwickelt.

Innerhalb des „Cube“-Modells sind Ideologien, Glaube und Ideen Teil eines dynamischen und umweltbezogenen Zusammenspiels. Sie werden nicht als „Grundursachen“ betrachtet.

 

Diese höchstsensitiven Faktoren sind ganz speziell mit besonderen Situationen verbunden und werden nicht als verbrechensgenerierend eingestuft. Beweggründe sind multi-semantisch, situationsbedingt und zeitlich verknüpft und aus diesem Grund ist diese Art von „Indikatoren“ von allen konkurrierenden Parteien manipulierbar.

 

In Rom oder Berlin radikal zu sein ist völlig anders als in Damaskus oder Kairo radikal zu sein. Der Unterschied besteht darin, dass in Rom und Berlin Freiheit und das Gesetz, Schlüsselfaktoren in politischer Legitimität und die Grundlagen des Rechtsstaats in Kraft sind.

 „Wenn du also Chinese bist, ist die größte Gefahr ein Tibeter, Uighur oder andere NationalistInnen. Befindest du dich im Irak, ist es die Religion (Sektierertum ist weitaus gefährlicher als Unruhen). Bist du in Spanien, Sri Lanka oder der Türkei, dann ist es der sogenannte Breakaway Nationalism (in etwa Absplitterungsnationalismus) (…) einige der Gründer Israels, sogar ein künftiger Premierminister Menachem Begin, stürzten gewaltvoll ein Völkerbund-Mandat und sprengten das King David-Hotel in Jerusalem in die Luft; ein Angriff, bei dem mehr als 90 Menschen getötet wurden. Das wäre heute in etwa so, als würde man UN-FriedenswächterInnen töten. Das waren darüber hinaus dieselben Menschen, die weit mehr als 100 AraberInnen – vorwiegend alte Männer, Frauen und Kinder – im berüchtigten Deir Yassin-Massaker. Doch nicht nur Israelis sind HeuchlerInnen. Wir sind es alle. In Wahrheit ist Terrorismus immer das, was andere tun. Nie ist es das, was wir selbst tun. Das ist womöglich sogar das einzige definierende Merkmal. Das ist auch der Grund, weshalb die USA islamische FundamentalistInnen als Teil der Achse des Bösen sehen, und weshalb diese im Gegenzug die USA als den Großen Satan wahrnehmen (…) Und wir müssen uns eingestehen, dass unsere Einstellung sich ändert, wenn TerroristInnen gewinnen. (…) Nelson Mandela war jahrzehntelang in der USA als Terrorist gelistet. Er wurde Präsident Südafrikas, Nobelpreisträger, und wahrscheinlich der meistgefeierte Mann auf diesem Planeten. Unsere Einstellung ändert sich natürlich auch eher, wenn uns Terrorismus persönlich betrifft, und nicht jemanden in weiter Ferne. Als britischer Bürger ist mir äußerst bewusst, wie viele AmerikanerInnen Geld, und zwar Millionen an Dollar, an die IRA (Irish Republican Army) gab, und zwar mit einem Nicken und Zwinkern seitens der US-amerikanischen Regierung. Ist unser Erinnerungsvermögen so schwach? Ist unsere Moral so seicht, oder sind unsere Definitionen von Terrorismus so dehnbar? Offenbar sind sie das.” (Ross, 2009, Seite 232)

Ähnlich vage Fälle könnten für die Zusammenarbeit der Mafia und nationalen oder internationalen PolitikerInnen in Italien beschrieben werden, und zwar beginnend mit dem 2. Weltkrieg und der Rolle der amerikanischen Mafia in der Befreiung Siziliens.

Sämtliche Versuche diese ideologischen Elemente in Sicherheitstechniken zu transformieren wurden sehr schnell zu rein politischen oder manipulativen Operationen von einem der involvieren AkteurInnen. Daher wurde ihre Verwendung sehr ambivalent: sie konnten schützende Elemente sein, aber sie konnten auch einen weiteren Eskalations-Risikofaktor darstellen, wie wir rasch erkennen werden, wenn wir die StakeholderInnen analysieren.

Die Beweggründe sind relativ. Was zählt ist, wie sie von den verschiedenen AkteurInnen in Hinblick auf die Rational-Choice-Theory wahrgenommen werden, die von Beginn an die Bewertung dynamischer irrationaler Rationalitätsprozesse („eingeschränkte“ oder „beschränkte“ Rationalität) für Präventionshandlungen ins Auge fasste, und dies stellt die Basis des „Cube-Modells“ dar:

TäterInnen verhalten sich in Situationen (Settings der physischen oder sozialen Umwelt) gemäß dem, wie sie diese wahrnehmen. Sie nehmen ihre eigenen Bedürfnisse wahr (sie benötigen Geld für ihre Drogensucht), und sie nehmen die Umgebungen wahr (nahe und entfernte) als etwas, das ihnen die Möglichkeiten bietet, ihre Vorgehensweisen durchzuführen, sei es nun Einbruch, Bankraub oder ein Terroranschlag. Warum TäterInnen den Weg wählen, ein Verbrechen zu begehen um an Geld zu kommen, anstatt einfach eine Arbeit zu suchen, ist eine Frage, die von der Rational-Choice-Theory nicht beantwortet wird. Oder zumindest wird sie als weniger relevant gesehen als die Frage, weshalb die TäterInnen Einbruch dem Bankraub vorziehen, oder weshalb die TerroristInnen lieber ein Gebäude sprengen als ein Flugzeug zu entführen. Die Vorgehensweisen der TäterInnen werden bedingt durch ihre Wahrnehmung der Möglichkeiten und Einschränkungen. Für Außenstehende oder BeobachterInnen ihres Verhaltens mag die Vorgehensweise, für welche sich die TäterInnen entschieden haben, nicht oder schon nachvollziehbar erscheinen. Von den TäterInnen wird das Verhalten als rationaler Weg zur Erreichung eines Ziels wahrgenommen.“ (Freilich und Newman)

Aus diesem Blickwinkel bringen die Phänomene Terrorismus und organisierte Kriminalität ein gewisses teleologisches Niveau an „Rationalität“ und „Handlungsfähigkeit“ mit sich, selbst wenn sie für externe Beobachtende völlig irrational und gegenstandslos wirken, solange die Gründe, die die TäterInnen unterstützen, die Erwartungen der Einzelpersonen rechtfertigen.

Die offenbare Unlogik eines Selbstmordattentäters überdeckt in Wahrheit die logische Suche nach einer höheren „Bestimmung“, wonach er/sie irgendwie bewusst oder unbewusst sucht (Becker, 1968, Tilley, 1997, Seiten 95-107; Newman, 1997, Seite 21). Der Unterschied zwischen Bewusstsein und Unbewusstheit entspricht genau dem zwischen Narrativen und Beweggründen, und ist eine zentrale Unterscheidung um zu unterstreichen, was wir unter „motivierten TäterInnen“ verstehen.

Es gibt de facto eine grundlegende Unterscheidung zwischen Beweggründen und Narrativen, die Handlungen zu einem gegebenen Zeitpunkt rechtfertigen. Was zählt ist, wie die involvierten Parteien sie verwenden: die Regierungsgewalt kann sie dafür einsetzen, Zustimmung für die eigenen Sicherheitsstrategien zu erlangen; TäterInnen hingegen um kriminelle Handlungen zu rechtfertigen, die von den meisten Menschen als unmoralisch beurteilt werden. Narrative, auf die sich das Profiling meist fokussiert (Moslems, Christen, ExtremistInnen, Radikale etc.) können vorübergehend angenommen werden um eine komplett andere Natur zu rechtfertigen oder zu motivieren, oder einfach um Aufmerksamkeit zu erregen, basierend auf Nachahmungsmechanismen, deren Beweggründe mit Grundbedürfnissen übereinstimmen. In anderen Fällen wiederum werden Narrative verwendet um jene zu provozieren, die als Feinde gesehen werden. In wieder anderen Beispielen dienen sie um Allianzen schmieden, Unterstützung zu erzielen, wie es häufig in Haftanstalten oder auf der internationalen politischen Bühne passiert. Ebenso kürzlich haben viele Nahost-Regimes (um die Diskussion in diesen Breitengraden zu halten) Sicherheits-Narrative dafür ausgenutzt, Kriege oder Diktaturen zu rechtfertigen.

Ein zu starker Fokus auf die erklärten Narrative mit Hinblick auf die Beweggründe, die ja die Basis der „Rational Theory“ darstellen, wird uns wahrscheinlich völlig irreführen, da die angebotenen Narrative häufig nicht mehr sind als künstlich übernommene „Provokationen“ oder „Rechtfertigungen“. Wir dürfen nie vergessen, dass wir, wenn wir die „Förderbänder“ oder die „Konflikte von Zivilisationen“ gar zu nah verfolgen, kann dies nicht nur kontraproduktiv, sondern völlig wirkungslos sein.

Obwohl die Verbindung zwischen gewaltvollen Filmen und Gewalt in der Gesellschaft sehr oft diskutiert wird, gibt es einige Beweise über TrittbrettfahrerInnen, da Medienberichte über unübliche Straftaten manchmal anderswo Nachahmung hervorrufen. Es wurde auch bewiesen, dass zum Beispiel StudentInnen, die ihre Lehrenden dabei sehen, wie sie illegale Computeraktivitäten ausführen, eher dafür infrage kommen, selbst Computerkriminalität zu begehen, so wie auch andere FußgängerInnen jemandem folgen, der bei Rot die Straße überquert.

Am 27. Dezember 1996 wurde Maria Letizia Berdini in der Nähe von Tortona in Italien von einem Stein getötet, der von einer Autobahnbrücke geworfen wurde. Die Nachricht wurde von der Presse ziemlich verbreitet, und seither gab es deutlich mehr Vorfälle von Steinen, die in Nachahmungsaktionen von Überführungen geworfen wurden: 63 Fälle waren bis zum 31. August 2017 dokumentiert worden, und im gesamten Jahr 2016 waren es 85 – beinahe ein Vorfall alle 4 Tage.

Dennoch bemerkte die italienische Polizei ein zyklisches Muster in diesen Phänomenen in Verbindung mit geografischen, informationsverwandten und territorialen Faktoren, obgleich die grundlegende Heterogenität der TäterInnen sowie die Gründe, die sie als Rechtfertigung für ihr Handeln angaben, bestätigt wurde.

Die Beweggründe, befreit von allen ideologischen Aspekten, werden übersetzt in ein Set an Korrelationen im Zusammenhang mit dem kriminellen Prozess, und in Simulationen als solche beschrieben.

LEKTION 3 DES HANDBUCHS:

Narrative sind keine Beweggründe. Narrative sind poly-semantisch und können von sämtlichen AkteurInnen ausgenutzt und manipuliert werden, während Beweggründe rationale Bedürfnisse darstellen, die durch Opportunitätsfaktoren einen Weg zu ihren Zielen finden.

Die Bereitschaft bewerten

In diesem veränderlichen Kontext wird die Verbindung zwischen Prävention und Verbrechen durch den Ansatz der situativen Verbrechensprävention (SCP; Situative Crime Prevention) entwickelt, und zwar durch die Einführung von „Bereitschaft“-Parametern, einer analytischen Kategorie, die an praktisch alle Präventionsmodelle angepasst werden kann.

Diese Kategorie sorgt auch gerne für Verwirrung, da die „Bereitschaft“ einen der Massen-Profiling-Indikatoren in der „Mappa“-Strategie darstellt, die vom English Home Office und anderen Nachrichtenagenturen übernommen wurde.

Traditionell wird die „Bereitschaft“ von Einzelpersonen und Gruppen gemäß drei Levels ausgedrückt, welche häufig von farbigen, visuellen Karten begleitet werden:

  1. Einzelpersonen, die dazu bereit sind ein Verbrechen zu begehen, und es selbst im Grunde kaum merken. In diese Kategorie fallen auch Signale aus der Umwelt, welche die Menschen veranlassen oder dazu bringen zu handeln (Wortley, 1997, S. 66).
  2. „Entfernte Faktoren“, welche Personen in unterschiedliche Stadien der Bereitschaft bringen (Wortley, 2011), und möglicherweise reagibler auf Opportunitätsfaktoren, welche in Einzelpersonen und ganzen Gruppen die Neigung dazu erhöhen, ein Verbrechen zu begehen.
  3. Einzelpersonen, die als Ergebnis der Evaluierung alternativer Möglichkeiten zur Erfüllung eines empfundenen Bedürfnisses in einem bewussten Zustand der Bereitschaft handeln. Die beinhaltet auch die Rache für realen oder empfundenen Groll, und dieser bewusste Zustand wird beeinflusst durch eine Fülle an Hintergründen und situativen Faktoren (Cornish & Clarke, 1986, S. 3).

Vor Kurzem entwickelte der Kanadische Nachrichtendienst ein Analysemodell für die „Bereitschaft“, basierend darauf WIE Verbrechen vorbereitet werden, und nicht darauf, WARUM die begangen werden[4]:

„In einem Szenario der Anschlagsplanung können Indikatoren für die Gewaltmobilisierung beispielsweise die Materialanschaffung, das Auskundschaften eines Ziels oder die Aufnahme eines Märtyrervideos umfassen. Wichtig ist zu bedenken, dass ein technisch einfacher Terroranschlag mitunter nichts weiter benötigt als ein Messer oder ein Auto. Diese Art von Anschlag ist speziell schwierig vorauszuahnen, aber die Indikatoren sind häufig dennoch gegeben, sogar für den einfachsten der Terroranschläge.

Eine Person, die sich auf eine Gewaltmobilisierung vorbereitet, kann möglicherweise auch versuchen ihre Aktivitäten vor Behörden und ihrem Umfeld zu verheimlichen. In diesem Fall können Indikatoren für Verbergen oder Täuschung auftreten. Diese Person nutzt vielleicht Software um ihre Kommunikation zu verschlüsseln, erfindet eine Ausrede um ihre Ausreise aus Kanada zu rechtfertigen oder schafft ein Alter Ego.” (CSIC, 2018)

In unserem Blickwinkel der Verwaltung dieser Vorkommnisse befindet sich die „Bereitschaft“ deutlich in der WIE-Kategorie der kriminellen Wegbeschreibung und identifiziert präzise verschiedene Arten von Straftat. In diesem Sinne ist dies ein Faktor, der sich grundlegend von jenen unterscheidet, die in den „Förderband“-Theorien identifiziert werden, welche sich auf psycho-ideologische Grundsätze konzentrieren.

Laut den unterschiedlichen Risikobewertungsmodellen, die es in Europa gibt, sind „Bereitschaft“ und „Beweggründe“ im Rahmen des Cube-Toolkits Korrelationen, die auf alle AkteurInnen angewandt werden, nicht nur auf die TäterInnen. Besonders die „Bereitschaft“ ist ein sehr wichtiges Bezugselement im Zusammenhang mit den präventiven Aktionen in einem Kontext vor Umsetzung des Verbrechens.

LEKTION 4 DES HANDBUCHS:

Der Grad der Bereitschaft und die daraus resultierende Wahrnehmung einer unmittelbaren Gefahr ergeben die Dringlichkeit einer präventiven Aktion. Wir fordern von Prävention, diesen Grad anhand der Untersuchung der konkreten Art und Weise, in der Verbrechen ausgeführt werden, zu ermitteln. Der „Bereitschaft“ gebührt auch extreme rechtliche Bedeutung im Rahmen der Verteidigung präventiver Aktionen vor Gericht.


[1] Recital 8 of the Directive

[2] United Nations Convention against Transnational Organized Crime, art. 2

[3] Richard Wortley, A Classification of Techniques for Controlling Situational Precipitators of Crime, Security Journal, 14: 63–82, 2011

[4] Canada Security Intelligence Service, MOBILIZATION TO VIOLENCE (TERRORISM) RESEARCH, key findings, 2018